Vortrag: 50 Jahre Bewährungshilfe (2007)

Zur Geschichte der Österreichischen Bewährungshilfe

Von der Täter- zur Opferhilfe

Adalbert Eisenriegler, Linz

Gliederung

I. NEUSTART als Dachmarke
II. Die Einführung der Sozialarbeit in die Strafjustiz
A. Sozioökonomische Hintergründe
B. Soziale Einzelfallhilfe als Methode der Bewährungshilfe
C. Legistische Verankerung
III. Die Aufgaben der Bewährungshilfe
A. Arbeitsprinzip Beziehungsarbeit
B. Arbeitsprinzip der nachgehenden Betreuung
C. Fallreflexion und Supervision
D. Bewährungshilfe als Rechtsinstitut
E. Bewährungshilfe als Täterarbeit
IV. Der Einfluss des außergerichtlichen Tatausgleichs

I. NEUSTART als Dachmarke

Die Österreichische Bewährungshilfe wird demnächst 50 Jahre alt. Zeitgerecht hat sie sich ein flottes Lifting verpasst. Der neue Name NEUSTART strahlt uns in neonfarbenem Pink entgegen und verweist auf ein vielfältiges Portfolio an Leistungen der sozialen Arbeit im Rahmen der Strafjustiz. Unter dem Slogan „Unsere Hilfe schafft Sicherheit“ führt NEUSTART in ganz Österreich neben der eigentlichen Bewährungshilfe (BWH), den Außergerichtlichen Tatausgleich (ATA), die Vermittlung gemeinnütziger Leistungen (VGL), die freiwillige Haftentlassenenhilfe (HEH),  die Arbeitsberatung und Arbeitsvermittlung für Haftentlassene, die elektronische Aufsicht, Antigewalttrainings und neuerdings auch psychosoziale Prozessbegleitung für Verbrechensopfer durch. Schon lange hilft NEUSTART nicht mehr nur den Tätern. Längstens seit Einführung der Konfliktregelung wird hier auch  Hilfe für die Opfer von Straftaten geleistet. Im ATA wird seit über zwanzig Jahren durch das Prinzip der Allparteilichkeit auf die Bedürfnisse von Geschädigten und Tatverdächtigen eingegangen, ohne eine dieser Klientengruppen zu benachteiligen. Von der bisherigen Arbeit mit Tätern in der Bewährungshilfe über die Arbeit mit Tätern und Opfern im Rahmen der Konfliktregelung bis zur Begleitung der Opfer bietet NEUSTART seit Anfang 2006 die gesamte Palette an Unterstützungsmaßnahmen für alle von Kriminalität Betroffenen an. Der Name „Bewährungshilfe“ oder „Verein für Bewährungshilfe und soziale Arbeit“  war deshalb für die Organisation, die sich dahinter verbarg, schon lange unpassend und missverständlich geworden, sodass seit 2002 der Name des Vereins – auch als Zeichen für eine grundlegende  Organisationsreform – auf NEUSTART geändert wurde.

Tatsächlich ist der Weg von der Täter- zur Opferhilfe eine logische Entwicklung, wenn man von einer ganzheitlichen Sozialarbeit ausgeht. „Sozialarbeit handelt dort, wo soziale Schäden entstehen, wo Personen oder Gruppen benachteiligt und ausgegrenzt werden. Da Täter und Opfer vor, während und nach dem Strafverfahren sozialen Schaden erleiden, ist dieser Bereich ein Handlungsfeld für soziale Arbeit“1.

II. Die Einführung der Sozialarbeit in die Strafjustiz

A. Sozioökonomische Hintergründe

Blickt man ein halbes Jahrhundert zurück, beschränkte sich damals die Straffälligenhilfe, bzw. Häftlingsfürsorge, auf die sporadische Unterstützung  Haftentlassener mit Natural-, Geld-, und Kleiderspenden durch karitative Vereine. Auch die per Erlass des Justizministeriums 1952 verfügte Einrichtung des „Sozialen Dienstes“ in den Vollzugsanstalten konnte eine Nachbetreuung Entlassener nur in sehr bescheidenem Umfang sicherstellen.

Erst der deutliche Anstieg der Jugendkriminalität ab 1952, der Medien und Öffentlichkeit beschäftigte, führte zu einer kriminalpolitischen Diskussion über Alternativen zum Freiheitsentzug, die außerdem einen stärkeren Resozialisierungseffekt erwarten ließen. Unterstützt wurde dieser Prozess durch die gute Wirtschaftskonjunktur, die zu einer verstärkten Nachfrage nach jugendlichen Arbeitskräften führte.

Damit setzte die Diskussion um die Einführung der Bewährungshilfe („der sozialarbeiterischen Betreuung des in Freiheit belassenen Rechtsbrechers zum Zwecke der Wiedereingliederung in die Gesellschaft und der Verhinderung neuerlicher Straffälligkeit“) auch im Nachkriegs-Österreich ein. Impulse für ein solches Modell gab ein „Probation“-Seminar der UNO in London 1952, die gesetzliche Verankerung der Bewährungshilfe in Deutschland 1953 und die Zöglingsrevolte in der Bundesanstalt für Erziehungsbedürftige Kaiser-Ebersdorf, die brutal niedergeschlagen wurde.

Auf der 1. Österreichischen Jugendrichtertagung in Wien 1956, wurde „die lang dauernde erzieherische Beeinflussung des jugendlichen Rechtsbrechers außerhalb der geschlossenen Anstalt“ und der Aufbau der Bewährungshilfe in Österreich gefordert. In Kooperation zwischen Jugendrichtern und Psychologen nahm schließlich die „Arbeitsgemeinschaft Bewährungshilfe“ (die Vorläuferorganisation von NEUSTART) 1957 unter der Leitung von Sepp Schindler in Wien ihre Tätigkeit auf und es konnten bereits praktische Erfahrungen in der ambulanten Betreuung straffälliger Jugendlicher gesammelt werden. Ca. 50 Probanden werden im ersten Arbeitsjahr von 12 ehrenamtlichen Bewährungshelfern betreut. Als gesetzliche Grundlage dafür diente das Gesetz über die bedingte Verurteilung 1920 und das JGG 1928, die die „Schutzaufsicht“ ermöglichen.

B. Soziale Einzelfallhilfe als Methode der Bewährungshilfe

Der Grundgedanke für die Wirksamkeit der Bewährungshilfe kann auch heute noch Gültigkeit beanspruchen: “Der Helfer muss das Vertrauen des Schützlings und seiner Familiengruppe erwerben. Die Erziehungsarbeit ist ja durch den Schützling selbst und seine Umgebung zu leisten, wobei der Helfer allerdings leitet und unterstützt. Daher muss er trachten, herauszufinden, woher die Schwierigkeiten seines Schützlings stammen. (…) Der Richter stellt die Autorität dar, die hinter der Einwirkung des Bewährungshelfers auf seinen Schützling und dessen Umgebung steht. Er muss eingreifen, wenn die Erziehungsarbeit zu misslingen droht.“, erklärte der spätere Präsident des JGH Wien, Franz Hönigschmid, bereits bei der Jugendrichtertagung 1956.2 Inhaltlich methodisch entwickelte der Psychologe Sepp Schindler ein Modell der österreichischen Bewährungshilfe und baute dabei  auf dem Werk August Aichhorns3 auf, das eine pädagogische Synthese von Sozialarbeit und Psychoanalyse darstellt. Die „Selbstentfaltung des Verbrechers“ nannte Schindler provokant den notwendigen Entwicklungsprozess, den ein auf seine Delinquenz reduzierter Jugendlicher zu seiner Personalisation und Sozialisierung erst durchmachen muss.4

In den 60er Jahren etablierte sich langsam auch in Österreich das in den angelsächsischen Ländern entwickelte Berufsbild der Sozialarbeit. Schon von Beginn an arbeitete man in der Bewährungshilfe nach den Regeln des SocialCaseworks (soziale Einzelfallhilfe ) als sozialarbeiterische Methode.

C. Legistische Verankerung, Institutionalisierung und Professionalisierung

Schließlich wurde im Jugendgerichtsgesetz 1961 erstmals das Rechtsinstitut der Bewährungshilfe gesetzlich eingeführt, wobei vorerst an eine überwiegend ehrenamtliche Durchführung gedacht war. Außerdem wurde im JGG 61 bereits ein Gesetz über die Durchführung der Bewährungshilfe angekündigt, das die organisatorischen Grundlagen für diese Aufgabe liefern sollte. Dem Bewährungshilfegesetz 1969 ist 1968 eine Entscheidung des VfGH vorausgegangen, wonach Bewährungshilfe als Teil des Strafrechtswesens in die Kompetenz des Bundes (und nicht der Länder) fällt und folglich aus dem Justizbudget zu finanzieren ist.

Für die Etablierung der sozialen Arbeit in der Justiz als grundsätzlich selbständige und von eigenständigen fachlichen  Prinzipien geleitete Disziplin war das Bewährungshilfegesetz 1969 ein zentraler Meilenstein und hat bis heute den Ausbau und die innovative Weiterentwicklung der Bewährungshilfe sichergestellt. Darin wurde festgelegt, dass das Rückgrat der Betreuungsorganisation von hauptamtlichen (bis 1992 noch beamteten) Bewährungshelfern (speziell ausgebildeten Sozialarbeitern, Psychologen und Soziologen) gebildet wird. Durch die für die damalige Zeit modernsten Standards (Teamarbeit, obligatorische Einzel-und Teamsupervision, bezahlte Fortbildung, Dienst- und Fachaufsicht nicht durch Berufsfremde sondern durch berufserfahrene Bewährungshelfer als Vorgesetzte, begrenzte Fallzahl) gilt die Österreichische Bewährungshilfe bis jetzt als vorbildhaftes Modell einer gelungenen Institutionalisierung und Professionalisierung von Sozialarbeit.5

Dieser Umstand ist vor allem einer glücklichen personellen Konstellation zu danken: Elisabeth Schilder, nach der Rückkehr aus der Emigration Juristin am Wiener Jugendamt und ausgebildete Fürsorgerin übernahm 1961 die Leitung des späteren Vereins für Bewährungshilfe und soziale Jugendarbeit. Bis zu ihrer Flucht aus Österreich 1938 war sie im organisierten Widerstand tätig gewesen und hatte aus dieser Zeit eine enge Freundschaft und politische Zusammenarbeit mit dem späteren Justizminister Christian Broda.6

Es bleibt das politische Verdienst Christian Brodas, in dessen Amtszeit als Justizminister die große österreichische Strafrechtsreform die endgültige Weichenstellung vom Tat- zum Täterstrafrecht vollzog, dass sich die Bewährungshilfe nicht nur als Rechtsinstitut sondern auch „als Einrichtung, die aus der Strafrechtspflege nicht mehr wegzudenken ist“,7 positionieren konnte.

Mit dem StGB 1975 wurde die Bewährungshilfe auch für erwachsene Rechtsbrecher eingeführt. Außerdem wurde 1975 endlich die Erziehungsanstalt in Kaiser-Ebersdorf geschlossen und von der Bewährungshilfe durch die Gründung mehrerer intensiv betreuter Wohngemeinschaften Initiativen im Heimbereich gesetzt. Ab 1978 folgte die Errichtung von „Zentralstellen für Haftentlassenenhilfe“ als Nachbetreuungseinrichtung für Haftentlassene ohne Bewährungshelfer.

III. Die Aufgaben der Bewährungshilfe

Die Sozialarbeit in der Bewährungshilfe steht im Spannungsfeld zwischen Hilfe und Kontrolle. Hilfe zur Sozialbewährung zielt darauf ab, daß der Klient die Chancen  auf seinen Platz in der Gesellschaft nutzen kann. Hilfe zur Legalbewährung erfolgt, indem der Klient herausgefordert wird, sich mit seiner Delinquenzgefährdung auseinanderzusetzen, um nicht mehr rückfällig zu werden.

A. Das Arbeitsprinzip Beziehungsarbeit

unterstützt die Persönlichkeitsentwicklung (Nachreifung)  und ist außerdem eine für den Klienten akzeptierbare und daher besonders wirksame Form der sozialen Kontrolle. Da viele straffällige Menschen in ihrem Leben keine angemessene Hilfeleistung und geglückte Unterstützung durch ihre Bezugspersonen erfahren haben, ist es nicht einfach ihr Vertrauen zu gewinnen. Die Kunst des Bewährungshelfers ist es, zum Klienten eine tragfähige, helfende Beziehung aufzubauen, die das Medium für Veränderungsprozesse darstellt. Ein persönliches Vertrauensverhältnis entwickelt sich, wenn sich beim Klienten eine positive Grundübertragung einstellt. Im modernen Psychotherapiejargon spricht man von Compliance. Grundlage für die Entwicklung und Entfaltung des Ichs ist die personale Begegnung und der zwischenmenschliche Dialog zwischen Klient und Helfer, der zu einem Begegnungs- und Auseinandersetzungsprozess führt, bei dem der Helfer an den Klienten auch Forderungen nach Veränderungen – z.B. seiner Lebensführung – richtet. Er muss deshalb ein persönliches Naheverhältnis zu seinem Klienten herstellen, ohne sich von ihm benutzen zu lassen. In diesem Zusammenhang stellen sich beim Klienten oft Gefühle der Angst, der Beschämung, des Neides oder der Wut ein, denen er auszuweichen versucht, bzw. setzt er dem Kontakt zum Bewährungshelfer einen Widerstand entgegen.  Für den Bewährungshelfer ist es nicht immer leicht, solche Formen des Widerstandes, die oft eine entwertende Form annehmen können,  zu verstehen und angemessen darauf zu reagieren.

B. Das Arbeitsprinzip der nachgehenden Betreuung

heißt, dass der Bewährungshelfer von sich aus aktiv ist, um den Kontakt zum Klienten nicht zu verlieren, und ihn in seiner Lebenswelt aufsucht und sich auf diese einlässt. Er wird sich vom sozialen Umfeld des Klienten ein Bild machen, um die konkreten Probleme und Gefährdungen des Klienten einschätzen zu können. Da die Klienten der Bewährungshilfe nicht von sich aus in die Betreuung kommen, wie z.B. bei freiwillig aufgesuchten Beratungsangeboten, wo sich der Klient mit einem eigenen Anliegen an die Beratungsstelle wendet, braucht es einen äußeren Rahmen in Form des gerichtlichen Auftrags, der die Bewährungshilfe als verpflichtende Maßnahme für den Klienten festlegt. Im Unterschied zu früheren Einschätzungen kann die Bewährungshilfe auch dann durchaus erfolgreich sein, wenn der Klient ihr anfänglich ablehnend gegenüber steht.

C. Fallreflexion und Supervision

In der Arbeit mit Dissozialen läuft man leicht Gefahr reaktiv eine negative Gegenübertragung zu entwickeln und nun umgekehrt den Klienten zu entwerten oder feindselige Gefühle für ihn zu empfinden, was letztlich zum Entgleisen der Betreuungsbeziehung führen kann. 8

Eine Voraussetzung für die professionelle Beziehungsgestaltung ist die „akzeptierende Haltung“ des Bewährungshelfers. Auch wenn seine Taten unentschuldbar und zu verurteilen sind, soll der Täter doch als Mensch akzeptiert – also angenommen – werden. Das fällt oft nicht leicht und führt im schlechten Fall  dazu, dass wir uns mit dem Klienten(Probanden) als Mensch mit seinen Nöten und Schwächen überidentifizieren und dabei seinen Täteranteil, bzw. seine destruktiven Seiten ausblenden. Der Abwehr unserer eigenen negativen Gefühle (von Hilflosigkeit, Abscheu und Wut gegenüber manchen Klienten, die uns in unserer akzeptierend – empathischen Haltung stören könnten) durch Überidentifikation mit den Klienten, wurde in der Österreichischen Bewährungshilfe lange Zeit zuwenig Aufmerksamkeit geschenkt.

Umso wichtiger ist es, diesen Phänomenen institutionell vorzubeugen, z.B. indem Gelegenheit geboten wird, im Rahmen von Fallbesprechungen und Supervision die eigene gefühlsmäßige Reaktion auf den Klienten zu reflektieren und ihre unbewussten Motive, die oft in der eigenen Abwehr zu finden sind, zu ergründen.

D. Bewährungshilfe als Rechtsinstitut

Vor allem im BewHG sind die Rechte und Pflichten des Bewährungshelfers festgelegt. Bestimmungen über Bewährungshilfe finden sich aber quer durch das gesamte Strafrecht.
Im Vergleich mit anderen Betreuern stärkt das Bewährungshilferecht die Position der Bewährungshelfer durch eine privilegierte Rechtsstellung (Anhörungsrecht, Besuchsrecht in der Haft im gleichen Umfang wie ein Anwalt, Recht auf Akteneinsicht, Verschwiegenheitspflicht etc.), die auf ein besonderes Naheverhältnis zur Justiz hinweist. Der Bewährungshelfer in Österreich ist sicher nicht der verlängerte Arm des Gerichts, aber er ist verpflichtet dem Gericht über seine Wahrnehmungen der Lebensführung des Klienten zu berichten, soll im Bedarfsfall Weisungen bei Gericht anregen, bzw. wird aufgefordert Stellungnahmen über die Zweckmäßigkeit von Weisungen oder zum beantragten Widerruf einer bedingten Strafnachsicht oder Entlassung abzugeben. Insofern eignen sich die Bewährungshelfer auch gut als Vermittler oder Schnittstelle zwischen Gerichten, Justizanstalten und anderen Betreuungseinrichtungen im Sinne von Casemanagement.9

E. Bewährungshilfe als Täterarbeit

Opferschutzeinrichtungen wie Frauenhäuser, Kinderschutzzentren und Kinder-und Jugendanwältinnen haben sich in den vergangenen 20 Jahren erfolgreich zu Wort gemeldet und das Problem der Gewalt an Kindern und Frauen und des sexuellen Missbrauchs wurde in der öffentlichen Diskussion stark aufgegriffen. Das führte in den 90er Jahren nicht zuletzt auch in der Straffälligenhilfe zu einem Perspektivenwechsel. Täterprogramme stellen ganz gezielt die Straftat und die Übernahme der Verantwortung durch den Täter in den Vordergrund. „Opferschutz durch Rückfallprävention“ soll damit gewährleistet werden. Die alte Devise „Wir leisten Hilfe zur Selbsthilfe“ ist in den Hintergrund getreten. Im Vordergrund steht jetzt auch bei NEUSTART „Mehr Sicherheit für unsere Gesellschaft durch Bewährungshilfe, Opferhilfe und Prävention“.

Im Zuge dieser Entwicklung hat sich auch das Methodenrepertoire der Bewährungshilfe maßgeblich erweitert. Neben den Methoden des Casework und des Casemanagement wird seit 1992 auch mit der Methode der sozialen Gruppenarbeit gearbeitet.

Für die Durchführung der Bewährungshilfe bei Sexualstraftätern gelten seit 2000 spezielle Richtlinien, die neben der Sicherstellung einer besonderen fachlichen Qualität (ausführliche Anamnese, rascher Betreuungsbeginn, hohe Kontaktfrequenz, Vernetzung mit Opferschutz- und Therapieeinrichtungen, etc.) erstmals auch die regelmäßige Überprüfung des  Rückfallrisikos anhand eines speziellen Arbeitsbehelfs vorsieht.

2005 wurde mit dem Modellversuch Elektronische Aufsicht (electronic monitoring) ein völlig neues technisches Instrument in der Bewährungshilfe eingeführt. Die ersten Erfahrungen zeigen, dass sich damit die Bindung des Klienten an den Bewährungshelfer intensiviert und in der Beziehungsgestaltung das Element einer das Ich stützenden Kontrolle(in Form der Fußfessel) eine positive Grundübertragung fördert.

Ab Herbst 2006 werden in der Bewährungshilfe erstmals Antigewalttrainingsgruppen stattfinden.

Diese beispielhafte Aufzählung soll die in den letzten Jahren zunehmende methodische Differenzierung der Resozialisierungsarbeit aufzeigen.

IV. Der Einfluss des Außergerichtlichen Tatausgleichs

Von Anfang an verstand sich die Bewährungshilfe auch als Motor in der kriminalpolitischen Diskussion um die Utopie einer gefängnislosen Gesellschaft. Damit Haft nur als Ultima Ratio verhängt wird, braucht es eine Reihe von Alternativen und Reaktionsmöglichkeiten der Strafjustiz, die der bloßen Strafsanktion vorgelagert sind. Auf der Suche nach sozialkonstruktiven Reaktionsformen auf Straffälligkeit wurde ab1986 die Konfliktregelung zwischen Täter und Opfer als neues Aufgabengebiet der Bewährungshilfe entwickelt und ausgebaut. Bis dahin lagen die Aufgaben der Sozialen Arbeit in der Strafjustiz fast ausschließlich in der Hilfe und Resozialisierung von Straftätern. Mit dem Außergerichtlichen Tatausgleich, der für Jugendliche im JGG 1988 auf eine gesetzliche Basis gestellt wurde und seit der StPONovelle 1999 im Rahmen der Diversion generell mit großem Erfolg angewendet wird, kam neben dem Täter auch der Geschädigte, das Opfer, ins Blickfeld der Bewährungshilfe.

Oder war es umgekehrt?  Konnte eine sich redlich um die Besserung des Täters bemühende Bewährungshilfe, noch länger ihren Blick für das Opfer des Täters verschließen? Oft genug wurde den Bewährungshelfern ja vorgehalten, dass sie sich nur um die Täter kümmerten. „Und wer hilft eigentlich den Opfern?“, war eine häufig gestellte Frage. Mussten die Bewährungshelfer, damit sie gegenüber ihren Klienten eine positive, akzeptierende Haltung aufrechterhalten konnten, die (Ab)Spaltung des Opfers aus ihrem Bewusstsein und dem des Täters in Kauf nehmen? Hat man es in der Bewährungshilfe über lange Zeit vermieden, den Täter mit seiner Verantwortung für das Leid des Opfers zu konfrontieren, und damit seine Abwehrhaltung, seine Auslassungen übernommen? Welche Qualität kann ein „persönliches Vertrauensverhältnis“, eine „positive Grundübertragung“, eine „Compliance“ haben, wenn sie nur unter den Bedingungen der Spaltung – der Ausblendung dessen, was der Täter dem Opfer angetan hat – funktioniert?  Ich wage die Behauptung, dass die Erfindung des Außergerichtlichen Tatausgleiches notwendig war, um die Opferperspektive in den um Ganzheitlichkeit bemühten Betreuungsansatz der Bewährungshilfe dauerhaft zu integrieren: Die Übernahme der Verantwortung für die Tat,  die Fähigkeit, Mitgefühl für das Leiden und die Lage des Opfers aufzubringen, sowie das Bemühen um Wiedergutmachung sind Qualitäten, die einen gelungenen Resozialisierungsprozess auszeichnen. Das heißt allerdings noch nicht, dass solche Ergebnisse in jedem Fall erzielt werden können. Häufig wird man sich auch mit weniger zufrieden geben müssen.10

Quellennachweis:

1 Maelicke B., Simmedinger R., 1987 Sozialarbeit und Strafjustiz, Weinheim,17
2 Zitiert nach Schiestl H., 1997 Probezeit, Wien, 14
3 Vgl. dazu: Aichhorn A., 1925 Verwahrloste Jugend, Wien
4 Vgl. dazu: Schindler S., 1969, Selbstentfaltung des Verbrechers? In Edelweiß u. a., Personalisation, Wien 1996
5 Organisatorisch blieb die Durchführung der Bewährungshilfe auch nach dem Bewährungshilfegesetz1969 privaten Vereinen übertragen, obwohl dort bereits eine Übernahme durch den Bund vorgesehen war. Dazu kam es letztlich aber nie. 1994 wurde zwischen dem BMf.J  und dem Verein der sogenannte Generalvertrag abgeschlossen.
6 „Schilder war aber auch ein Bindeglied zur sozialpolitischen und psychoanalytischen Welt des Vorkriegs-Wien. Jene durch den Nationalsozialismus zerstörte Tradition, deren Träger vorwiegend Wiener Juden waren, hatten sich in der Emigration in den USA und Großbritannien unter anderen Bedingungen weiterentwickelt. Mit Schilders Unterstützung konnten prominente Vertreter moderner psychoanalytischer und sozialarbeiterischer Entwicklungen in die österreichische Bewährungshilfe eingebunden werden“. Schiestl R., Probezeit, 1997 Wien
7 Broda im Vorwort der Festschrift für Elisabeth Schilder, Keller u.a., 1979, Wien
8 Z.B versuchen manche Klienten ihre Ohnmachtsgefühle abzuspalten, indem sie zeitweise in die Rolle des mächtigen, aggressiven inneren Elternobjekts schlüpfen und damit auch die Beziehung zum Bewährungshelfer auf den Kopf stellen – also den Spieß umdrehen: Der Betreuer ist jetzt das schlimme, lästige Kind, vor dem der Klient seine Ruhe haben möchte, wie seinerzeit die überforderte, vernachläßigende Mutter oder der misshandelnde Vater. Der Bewährungshelfer fühlt sich darauf in seiner Gegenübertragung als ohnmächtig, hilflos und herabgesetzt.Nicht immer gelingt es Klienten, eigene Fehler einzugestehen und die Verantwortung dafür zu übernehmen. Sie bemühen sich dann ihr eigenes Versagen – auch vor sich selbst – zu verleugnen, indem sie sich als die eigentlichen Opfer eines bösen Schicksals oder unglücklicher Umstände präsentieren. Als Helfer tut man sich dann schwer Dichtung und Wahrheit auseinanderzuhalten.
9 Vgl. dazu: Eisenriegler A., 1993: Das 6-Varianten-Modell zur Durchführung der Bewährungshilfe, Sozialarbeit und Bewährungshilfe (SUB) 1/93, Wien
10 „Erfolg 2005: 1484 Mitarbeiterinnen (621 haupt- und 863 ehrenamtliche) betreuten insgesamt rund 38.500 Klienten, die teilweise auch unterschiedliche Dienstleistungen von NEUSTART in Anspruch nahmen. Durch die Angebote und Leistungen von NEUSTART entstanden in Österreich 2005 Kosten in der Höhe von ca. € 32.800.000.- (Stand: vorläufiges Ergebnis vom 20.01.2006).“ NEUSTART, 2006, report Österreich, Wien