Vortrag: Kulturhauptstadt auf der Couch (2009)

Die Kulturhauptstadt auf der Couch – 1. psychoanalytischer Kongress in Linz

Einführungsreferat zum Symposium Sigmund Freud und die Psychiatrie am 17./18. April in Linz.

„Meine Damen und Herren! Es ist mir ein neuartiges und verwirrendes Gefühl, als Vortragender vor Wißbegierigen der Neuen Welt zu stehen. Ich nehme an, daß ich diese Ehre nur der Verknüpfung des Namens Sigmund Freud mit dem Thema der Psychoanalyse verdanke, und beabsichtige daher vor Ihnen über Psychoanalyse zu sprechen. Ich will versuchen, Ihnen in gedrängtester Kürze einen Überblick über die Geschichte der Entstehung und weiteren Fortbildung dieser neuen Untersuchungs- und Heilmethode zu geben. (…) Vorher nur noch eine Bemerkung. Ich habe nicht ohne Befriedigung erfahren, daß die Mehrzahl meiner Zuhörer nicht dem ärztlichen Stande angehört. Seien Sie nun unbesorgt, daß es besonderer ärztlicher Vorbildung bedarf, um meinen Mitteilungen zu folgen. Wir werden allerdings ein Stück weit mit den Ärzten gehen, aber bald werden wir uns absondern und Dr. Breuer auf einen ganz eigenartigen Weg begleiten.“

Mit diesen Worten begann Sigmund Freud im September 1909, also vor genau hundert Jahren, seine Vorlesungsreihe, die er zur zwanzigjährigen Gründungsfeier der Clark University in Massachusetts hielt, wohin er von den dortigen Befürwortern der Psychoanalyse eingeladen worden war und erstmals Gelegenheit hatte in der „Neuen Welt“ vor einem aufgeschlossenen und sehr interessierten Publikum seine wissenschaftlichen Forschungen und Erkenntnisse über das Seelenleben, einer „neuen Untersuchungs- und Heilmethode“ wie er sagt, also die Psychoanalyse, vorzustellen. In mehrfacher Hinsicht erscheint mir dieses Ereignis für unsere heutige Veranstaltung bedeutsam zu sein: Zum Einen weil es sich heute auch um ein „historisches Ereignis“ handelt. Schließlich ist dieses Symposium, die erste psychoanalytische Tagung, die in Linz stattfindet – und ich glaube, es hat auch seinen guten Grund warum gerade Linz, in der Mitte zwischen der Weltstadt Wien und der Festspielstadt Salzburg gelegen, sich solange nicht, als gastlicher Ort für die Psychoanalyse angeboten hat. Kann Wien in Anspruch nehmen die Stadt Sigmund Freuds zu sein und Salzburg zurecht darauf stolz sein, bereits vor über hundert Jahren den ersten internationalen psychoanalytischen Kongress überhaupt, beherbergt zu haben, plagt sich Linz wie der Neurotiker in der Kur mit seiner Nazi- Vergangenheit und den damit verbundenen Abwehrmechanismen und Symptomen herum. Erinnern-wiederholen-durcharbeiten, und immer wieder viel Vergessen, so erlebe ich -seit ich vor 35 Jahren in diese Stadt gekommen bin- die Diskurse in Politik und Kulturleben. Man kann es schon an den archaisch – dummen Sprüchen mit denen Linz bedacht wird, bzw sich selbst ständig in Erinnerung ruft – ablesen:

„In Linz beginnts“, heißt wohl im Sinn der Verkehrung ins Gegenteil: „In Linz wird es nie einen wirklichen Neubeginn geben – so modern, strebsam, tüchtig erneuerungswütig und kulturbeflissen sich diese Stadt auch immer zeigen möchte.“ Und welcher Sarkasmus steckt in Qualtingers „in Linz müßte man sein“. So als wenn das hier die letzte Zufluchtsstätte für gescheiterte Existenzen wäre.

Ende der siebziger Jahre skandierte die Bürgerinitiative „Linzer Luft“: „In Linz stinkts“. Und tatsächlich hatte damals der filterlos in die Luft hinausgeblasene, stinkende Industriedreck mit seinen schwarz-braunen Nebelwolken das Stadtbild schon von der Westautobahn aus beherrscht, sodaß eigentlich niemand gerne freiwillig hier hereinfuhr. Und als es endlich gelungen war, gegen den Widerstand der politisch allmächtigen Stadtväter die Industrie zu zwingen, geeignete Schadstofffilter anzubringen und damit das anale Inferno zu beenden, freuten sich die Linzer über ihre saubere Stadt. Was über den Gestank gerne vergessen wurde, war der Umstand, daß Linz seinen Aufschwung als Industriestadt, seine technische Innovationskraft und seine unleugbare wirtschaftliche Prosperität, die der Region einen überdurchschnittlich hohen Wohlstand verschafft hat, seiner besonderen historischen Bedeutung als Stadt Adolf Hitlers verdankt. Keine Stadt Österreichs wurde derart vom Naziregime geprägt wie Linz: wirtschaftlich, städtebaulich und kulturell. Auf Kosten des Leidens von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen. Obwohl schon Generationen von Historikern, Kulturschaffende, antifaschistische Initiativgruppen, ja auch Psychoanalytiker zur „Aufarbeitung“ – also zumindest Bewusstmachung – dieser Geschichte gearbeitet haben, ist es eigentlich erst im Rahmen des Kulturhauptstadtjahres gelungen, gegen den Verdrängungswiderstand erfolgreich anzukämpfen:

Noch vor einigen Wochen hing vom Linzer Schloßmuseum -deutlich über der ganzen Kulturmeile an der Donaupromenade sichtbar – die stilisierte NS-Fahne mit der Aufschrift „Kulturhauptstadt des Führers“, die auf die gleichnamige Ausstellung über Hitlers größenwahnsinnige Stadtplanung von Linz hinwies. Das Linz09 Projekt In Situ macht mit Bodenmarkierungen im öffentlichen Raum die Geschichte der nationalsozialistischen Vernichtungs- und Verfolgungspolitik in Linz konkret erfahrbar. Mittels Gehsteigbeschriftungen vor Wohnhäusern, die die Aufmerksamkeit der Besucher an sich ziehen, wird über die Geschichte der von den Nazis ermordeten oder vertriebenen Bewohnern oder Geschäftsinhabern informiert. Ich bin tatsächlich optimistisch, dass das Linzer Kulturhauptstadtjahr 2009 einen wichtigen Schritt in Richtung eines Neubeginns setzt. Der Vergleich von Linz09 mit der Neuen Welt hat also nichts damit zu tun, daß hier in unmittelbarer Nähe ein Stadteil dieses Namens existiert, oder, daß die Umgebung des Bahnhofs scherzhaft als Klein-Manhattan bezeichnet wird. Nein. Es sollte damit vielmehr die Hoffnung ausgedrückt werden, dass sich Linz als Neue Welt für die Psychoanalyse Sigmund Freuds öffnet und eine lebhafte Auseinandersetzung damit stattfindet.

Es gibt ja bereits seit 1973 in Linz einen psychoanalytischer Arbeitskreis der neben einem umfangreichen wissenschaftlichen Programm und verschiedenen
Vortragsreihen auch eine fundierte psychoanalytische Ausbildung im Rahmen des Psychotherapiegesetzes vermittelt. Der Arbeitskreis hat in Linz derzeit etwa 20 Mitglieder die als Psychoanalytiker und Psychotherapeuten in Privatpraxen und psychosozialen Institutionen einen wichtigen Beitrag für die psychotherapeutische Versorgung in OÖ leisten. Bezüglich unserer wissenschaftlichen Tätigkeit kann ich Sie auch gleich auf die Frühjahrstagung des APLG am kommenden Wochenende in Spital/Pyhrn aufmerksam machen, wo Herr Pierre Passett aus Zürich über die „Zweizeitigkeit des Analytiker-Werdens“ vortragen wird. Wenn Sie daran Interesse haben informieren Sie sich bitte auf unserer Homepage www.psychoanalyse-linz-graz.at.

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Wir haben heuer die Möglichkeit genützt, gemeinsam mit dem Institut für Psychotherapie der Nervenklinik Linz dieses Symposium „Sigmund Freud und die Psychiatrie“ für eine qualifizierte Fachöffentlichkeit (100 Psychotherapeuten, Ärzte, Psychiater, Psychologen, Sozialarbeiter, Pädagogen, psychiatrisches Fachpersonal) zu veranstalten. Ich möchte mich an dieser Stelle sehr herzlich bei Herrn Primar Dr. Anton Tölk bedanken, der uns vom Arbeitskreis dazu eingeladen hat. Zwischen der Psychiatrie und der Psychoanalyse besteht ja schon seit den Anfängen ein Spannungsverhältnis.

Nicht umsonst meinte Freud, man dürfe die Psychoanalyse nicht allein den Ärzten überlassen und trat vehement für die sogenannte Laienanalyse ein – also, daß auch Nichtärzte als Psychoanalytiker tätig sein sollen. In diesen zwei Tagen werden sieben Fachvorträge von renommierten österreichischen PsychoanalytikerInnen und Psychiatern gehalten, die sich hauptsächlich mit der Frage beschäftigen, wieweit moderne psychoanalytische Konzepte und Behandlungsmethoden seelischer Erkrankungen im Rahmen der psychiatrischen Versorgung nutzbringend angewendet werden können. Immer stärker wird ja die Forderung aus Einsparungsgründen die Behandlungsdauer zu verkürzen. Diesem Trend kommt auch die psychoanalytische Kurz- und Fokaltherapie entgegen, die zwar zur Behandlung von akuten psychischen Syndromen wirksam ist, aber keine Wirksamkeit in der Behandlung von PatientInnen mit Persönlichkeitsstörungen und Patienten mit multiplen oder chronischen psychischen Erkrankungen haben. In der Psychoanalyse geht es nach wie vor hauptsächlich um Langzeittherapien und diese Haltung wird auch durch die Psychotherapieforschung bestätigt. Aus einer erst im Oktober letzten Jahres erschienenen Studie in einer hoch angesehenen unabhängigen medizinischen Zeitschrift im „Journal of the American Medical Association“ (JAMA) ging hervor, daß Patienten mit komplexen psychischen Störungen (Depressive Störungen, Angststörungen, Essstörungen) nach Langzeittherapien in besserer Verfassung waren als 96% der Patienten aus der Kontrollgruppe. Bei den insgesamt 1053 untersuchten Patienten zeigte sich eindeutig, daß Langzeittherapie besonders für Persönlichkeitsstörungen, die oft mit anderen klinischen Störungen wie Angst, Depression, psychotischen Symptomen einhergehen und deutlich funktionelle Beeinträchtigungen zeigen, eine höchst effektive Therapie darstellt. Durch diese Metaanalyse wurde deutlich, dass psychodynamische Langzeittherapien signifikant wirksamer sind als Kurzzeittherapieverfahren – auch in Bezug auf die angestrebten Therapieziele und das Funktionieren der Persönlichkeit. Außerdem stellte sich heraus, daß die großen Effekte, die durch Langzeittherapien erzielt werden, sehr stabil sind und sich nach Ende der Therapie noch statistisch signifikant verbessern. Neben der langen Dauer ist auch die hohe Frequenz (drei Stunden pro Woche) für die Effizienz von Therapien in der Behandlung von Persönlichkeitsstörungen von großer Bedeutung. Schließlich kommen die Autoren zum Schluss, dass einige Studien nahe legen, dass psychodynamische Langzeittherapien, trotzdem sie kostenintensiv sind, kosteneffiziente Therapien zu sein scheinen (Falk Leichsenring, Sven Rabung, 2008, On Effectivness of Long-Term Psychotherapie: A Meta-Analysis, JAMA, zit. nach Elisabeth Skale)

Ich möchte mich an dieser Stelle sehr herzlich bei unseren Referentinnen und Referenten bedanken, dass sie so kostengünstig zu uns nach Linz gekommen sind und auch bei den Mitgliedern und KandidatInnen durch deren Mitgliedsbeiträge, dieses Symposium finanziert wird. Für Sie liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer ist die Psychoananlyse heute und morgen gratis. Ich wünsche uns uns allen eine anregende und lebendige psa. Tagung in Linz, die Gelegenheit zur Diskussion und zum Austausch gibt.

Adalbert Eisenriegler ist Leiter der Sektion Linz des Arbeitskreises für Psychoanalyse Linz-Graz