Wie halten es Psychoanalytiker/Innen heute mit ihrer Gegenübertragung?
Zur Geschichte und Entwicklung des Gegenübertragungsbegriffs
Adalbert Eisenriegler
Erweiterte Fassung des Vortrags vom 4.6.2008 in der Linzer Sektion des APLG
Übersicht:
1909 äußert sich Freud in einem Brief an Jung zu dessen Verstrickung in eine Liebesbeziehung mit einer Patientin, daß dieser sich noch nicht die „harte Haut“ habe wachsen lassen, die helfe „die Gegenübertragung, in die man doch jedenfalls versetzt werde“, zu handhaben. In den techn. Schriften (1915) schreibt er vom „Niederhalten“ der Gegenübertragung und meint, daß der Arzt sie „erkennen und bewältigen“ muß. Dieses klassische defensive Konzept wurde erst 1950 von Paula Heimanns erweiterten Verständnis der Gegenübertragung abgelöst und jetzt als eine Produktion des Patienten verstanden. Die Gefühle, die der Analytiker gegenüber seinem Patienten verspürt, sind die Antwort auf die Übertragung und können somit einen Zugang zum Unbewußten des Patienten schaffen. Damit wurde die Gegenübertragung als ein sensibles Forschungsinstrument für das Unbewußte des Patienten aufgewertet. Seit den achtziger Jahren haben sich Interaktionelle Konzepte durchgesetzt, wobei die Gegenübertragung als gemeinsame Schöpfung von Analytiker und Analysanden verstanden wird. Hier ist der Analytiker ein teilnehmender Beobachter, der auf vielerlei Weise mitagiert und die Übertragung des Patienten ist stark von der Gegenübertragung bestimmt.
An Hand verschiedener Fallvignetten soll der Frage nachgegangen werden, welche Rolle die Gegenübertragung in der psychoanalytischen Praxis tatsächlich spielt.
Im Gegensatz zum Begriff der Übertragung gibt es für den Begriff der Gegenübertragung keine einigermaßen einheitliche Definition. Dies hängt wohl damit zusammen, daß das Phänomen der Gegenübertragung im Lauf der Geschichte der Psychoanalyse von den AnalytikerInnen scheinbar höchst wiedersprüchlich gesehen wurde. Die Spannweite reicht von der Gefahr für die psychoanalytische Kur, die von der Gegenübertragung ausgeht, bis zur Bedeutung als wichtigstes Instrument für die psychoanalytische Technik. Je nachdem welcher Fokus innerhalb dieses Spektrums im Vordergrund steht, wird auch die Definition für das, was wir eigentlich mit Gegenübertragung meinen ausfallen. Ich verwende den Begriff der Gegenübertragung sehr pragmatisch – in Übereinstimmung mit König (2004) und Mertens (1991) in einem totalistischem, bzw. ganzheitlichen Sinn – für alle (bewußten und unbewußten) Gefühls- und Verhaltensreaktionen des Analytikers auf seinen Analysanden. Diese sind nicht nur „objektive“ Reaktionen auf die Übertragung des Patienten sondern in hohem Maß von den Persönlichkeitsvariablen des Analytikers bestimmt: Der Lebensgeschichte und Charakterstruktur, den Rollen, die er in seinem sozialen Umfeld einnimmt, aber auch der Tagesverfassung etc. Der Analytiker muß seine Gefühlsreaktionen differenzieren und unterscheiden, was überwiegend auf die Übertragung des Patienten zurückzuführen ist, ob die eigene Reaktion plausibel und angemessen ist und was auf das Konto der eigenen -unbewußten, vielleicht neurotischen – Übertragung geht.
Zur Illustration von Gegenübertragungsgefühlen beginne ich mit zwei sehr unterschiedlichen Fallvignetten, wobei die erste eine einmalige Begegnung schildert und die zweite am Ende einer langjährigen therapeutischen Beziehung steht:
Fall A
Eine 30jährige Frau, die eine neue Berufslaufbahn anstrebt kommt auf der Suche nach einem Analytiker für ihre Eigenanalyse zu mir. Im Zuge des Erstgesprächs fällt mir ein, daß ich vor ein paar Tagen von meiner Tochter, die etwa im gleichen Alter ist wie die Klientin, erfuhr, daß sie ein Baby erwartet. Auf meine Frage an die Klientin, ob sie sich Kinder wünsche, erfahre ich von ihr, daß sie gerne Kinder hätte, sich aber ihrer Beziehung nicht so sicher sei. Sie erzählt mir ausführlich über ihren Freund und ihre Partnerbeziehung. Darauf konfrontiere ich sie damit, daß sie in ihrer Erzählung das Bild eines Menschen vermittelt hätte, der an ihr im Grunde kein Interesse und kein Einfühlungsvermögen für sie zeige. Die Klientin gesteht weinend ein, daß gerade das ihr Problem sei. Daß sie sich von Partnern immer zuviel gefallen ließe und sich zuwenig traue, ihre Wünsche einzufordern, weil sie fürchte, dann zurückgewiesen zu werden. Im Laufe des Gespräches wurde die Atmosphäre immer dichter. Eine Traurigkeit stand im Raum, die mich tief bewegte, sodaß auch mir die Tränen in die Augen stiegen. Ich weiß nicht, ob die Klientin das gemerkt hatte. Zwei Wochen später teilte sie mir mit, daß sie sich für einen anderen Analytiker entschieden hätte. Ich muß zugeben, daß ich darüber enttäuscht war.
Fall B
Ein forensischer Klient Mitte 40, den ich mit einigen Unterbrechungen schon 12 Jahre in Therapie habe und bei dem sich in den letzten Jahren eine vertrauensvolle und tragende Selbstobjekt-Übertragung entwickelt hat, machte letzte Stunde eine vielleicht scherzhaft gemeinte aber im Grunde herabsetzende Bemerkung über meine Art den Rasen zu mähen. Damit erinnerte er mich an schon weiter zurückliegende Phasen in der Therapie, wo ich um sein Vertrauen gerungen habe und er mich mit aggressiven Beschimpfungen und vernichtender Entwertung auf Distanz gehalten hat. Mir fällt dazu Winnicotts (1949) Aufsatz, „Haß in der Gegenübertragung“ (siehe unten) ein und ich fühle mich angeregt, dem Klienten mitzuteilen, daß ich zu diesen Zeiten des öfteren extrem wütend auf ihn war und ihn wirklich gehaßt habe. Meine Offenheit war ein guter Anlaß für ihn, sich an die häufigen Wechsel seiner Pflegeplätze als Kleinkind (er hatte vom 2. bis zum 7. Lebensjahr ca. 10 Pflegeeltern verbraucht) zu erinnern, und daß er auch dort die Pflegepersonen bis zur Weißglut geärgert hatte, bzw. öfters ausgerastet war. Gleichzeitig meinte er, daß er auch ein ganz liebes Kind gewesen sein müßte, das sich aber wegen allzuviel Nähe häufig zur Wehr setzte. In der Folge fiel ihm auch wieder sein leiblicher Vater ein, den er erst vor 15 Jahren, anläßlich eines überfallsartigen, einmaligen Besuchs bei ihm „kennengelernt“ hatte und der ihn sofort hochkant aus seinem Haus warf. Jetzt plante er eine neuerliche Kontaktaufnahme und diesmal möchte er es geschickter angehen und sich mit mir beraten.
Exkurs: Anmerkungen zum Übertragungsbegriff und zur psychoanalytischen Standardtechnik.
Die Übertragung ist das zentrale Konzept der psychoanalytischen Technik und wurde von Freud erstmals 1905 im Nachwort zum Fall Dora (Bruchstück einer Hysterie-Analyse) genannt. Obwohl diese Analyse nach 3 Monaten von der Patientin abgebrochen wurde, was Freud auf ihr Agieren der Übertragung, die er zuspät erkannt hätte, zurückführte, hat er diese Fallgeschichte gewählt, um an ihr erstmals das Phänomen der Übertragung zu illustrieren:
„Die Übertragung, die das größte Hindernis für die Psychoanalyse zu werden bestimmt ist, wird zum mächtigsten Hilfsmittel derselben, wenn es gelingt, sie jedesmal zu erraten und dem Kranken zu übersetzen. Ich mußte von der Übertragung sprechen, weil ich die Besonderheiten der Analyse Doras nur durch dieses Moment aufzuklären vermag. Was den Vorzug derselben ausmacht und sie als geeignet für eine erste, einführende Publikation erscheinen läßt, ihre besondere Durchsichtigkeit, das hängt mit ihrem großen Mangel, welcher zu ihrem vorzeitigen Abbruch führte, innig zusammen. Es gelang mir nicht der Übertragung rechtzeitig Herr zu werden; durch die Bereitwilligkeit, mit welcher sie mir den einen Teil des pathogenen Materials in der Kur zur Verfügung stellte, vergaß ich der Vorsicht, auf die ersten Zeichen der Übertragung zu achten, welche sie mit einem anderen, mir unbekannt gebliebenen Teile desselben Materials vorbereitete. Zu Anfang war es klar, daß ich ihr in der Phantasie den Vater ersetzte, wie auch bei dem Unterschiede unserer Lebensalter nahelag. Sie verglich mich auch immer bewußt mit ihm, suchte sich ängstlich zu vergewissern, ob ich auch ganz aufrichtig gegen sie sei, denn der Vater “ bevorzuge immer die Heimlichkeit und einen krummen Umweg“. Als dann der erste Traum kam, in dem sie sich warnte , die Kur zu verlassen wie seinerzeit das Haus des Herrn K., hätte ich selbst gewarnt werden müssen und ihr vorhalten sollen: Jetzt haben Sie eine Übertragung von Herrn K. auf mich gemacht. (…) Ich überhörte aber diese erste Warnung, (…)“ (1905, S. 281).
Freud sah in der Handhabung der Übertragung den schwierigsten Teil der psa Technik. Die Übertragung ist zwar kein pathologisches Phänomen, stellt aber eine Verzerrung der Realität dar, weil sie eine Wiederholung aus der Vergangenheit ist. „Die Übertragung stellt sich in allen menschlichen Beziehungen ebenso wie im Verhältnis des Kranken zum Arzte spontan her, sie ist überall der Träger der therapeutischen Beeinflußung, und sie wirkt umso stärker, je weniger man ihr Vorhandensein ahnt.“ „Die psychoanalytische Kur schafft die Übertragung nicht, sie deckt sie bloß, wie anderes im Seelenleben Verborgene, auf.“(1905) Freud bemerkte, daß sich auch in der Analyse die Übertragung spontan entwickelt. Es sind die frühkindlichen Beziehungserfahrungen, die in der analytischen Situation vom Patienten auf den Analytiker übertragen werden. Die Aufgabe des Analytikers wäre eben sie rechtzeitig zu erkennen und zu deuten. Freud war es in diesem Zusammenhang sehr wichtig immerwieder darauf hinzuweisen, daß die Übertragung des Patienten nicht die reale Person des Therapeuten meint und er nicht in die Beziehung zu seinem Patienten involviert wird, sondern nur seine symbolische Repräsentanz als Übertragungs-Leinwand zur Verfügung stellt. „Leidenschaftslos habe sich der Therapeut für diese Funktion zur Verfügung zu stellen. (…) er selber ist als Person ja nicht beteiligt, sondern nur in seiner mitfühlenden, verstehenden und analysierenden Funktion als Arzt. Manche Therapeuten glauben daran noch heute“, kommentiert Mertens (1990,S.173) ironisch. Der Analytiker, so meinte Freud idealtypisch, soll wie ein fleckenloser Spiegel nur die Gefühle und Erinnerungen des Patienten reflektieren und er verwendete außerdem die Metapher des gefühlskalten Chirurgen, der mit dem Skalpell präzise arbeitet, und seine eigenen menschlichen Regungen bei dieser Arbeit völlig auszublenden hat. Die Übertragung des Patienten soll durch die persönlichen Gefühle und das Verhalten des Analytikers nicht verfälscht werden. Der Analytiker soll sich bemühen, durch die Lehranalyse die „Unebenheiten des Spiegels“ zu glätten.
Dieses Übertragungskonzept hat aber auch eine andere, defensive Seite. Es kann auch gut als Abwehr des Analytikers von seinem eigenen persönlichen Involviertsein in die analytische Beziehung, das ihm vielleicht Angst bereitet, dienen. „Denn was kann beruhigender für einen Therapeuten sein als sich der Auffassung zu vergewissern, daß der Patient nicht ihn persönlich meint, sondern Vater oder Mutter?“ (Mertens 1991).
Lange Zeit wurde in der Nachfolge Freuds eine möglichst neutrale Haltung als optimale therapeutische Vorgangsweise im Übertragungsgeschehen vom Analytiker gefordert und negiert, daß die Übertragung durchaus vom Analytiker in hohem Maße beeinflußt wird. Im schlechtesten Fall kann das vom Patienten so verstanden werden, daß sich der Analytiker als Person hinter der Neutralität versteckt und „die Übertragungsdeutung so angelegt wird, als bilde sich der Patient im Hier und Jetzt der analytischen Stunde alles nur ein. Dadurch wird die situative Wahrheit der Wahrnehmung des Patienten übergangen, und es ergeben sich oft schwerwiegende Zurückweisungen und Kränkungen mit nachfolgenden Aggressionen.“ (Thomä u. Kächele 1985, S. 78)
Die aufkommende Ichpsychologie und die neoklassische Technik in den vierziger Jahren propagierte das Ideal des schweigsamen, passiven, neutralen und anonymen Analytikers . Dadurch, daß sich der Analytiker als Person sogut wie möglich heraushält, sollte er die Übertragung tunlichst nicht beeinflußen. Der Analytiker wurde dazu angehalten, möglichst keinen persönlichen Aspekt mit in die Behandlung einzubringen. Es wurde sogar empfohlen den Ehering vor der Behandlung abzunehmen, das Behandlungszimmer möglichst unpersönlich zu gestalten und wenn möglich immer gleiche (graue) Anzüge zu tragen. Es wurde auch davon abgeraten, dem Patienten zu seinem Geburtstag zu gratulieren oder ihm bei einem Todesfall in seiner Familie zu kondolieren. Eine lebhafte Diskussion entbrannte auch an der Frage, ob man dem Patienten überhaupt die Hand schütteln soll, oder ob dies nicht schon ein Zuviel an persönlichem Kontakt darstellt. Diese neoklassische Tradition der Handhabung der Übertragung hat die Ratschläge Freuds zur Durchführung der Behandlung in ein Extrem getrieben, was schließlich wieder eine Gegenbewegung ausgelöst hat.
Greenson (1967) war sich wohl der Einseitigkeit dieses Neutralitätsideals bewußt und wirbt quasi um Verständnis für die Auffassung, der Analytiker solle wie ein Spiegel sein und für die sogenannte Abstinenzregel. „Diese beiden Faustregeln Freuds haben viele Analytiker verleitet, ihren Patienten gegenüber eine strenge, distanzierte und sogar autoritäre Haltung einzunehmen. Ich glaube, daß man damit Freuds Absicht bestenfalls mißversteht und daß diese Haltung mit der Bildung eines wirksamen Arbeitsbündnisses unvereinbar ist…..Der „Spiegel“ bezieht sich auf die Vorstellung, der Analytiker solle für den Patienten „undurchsichtig“ sein, unaufdringlich in dem Sinn, daß er dem Patienten seine Wertvorstellungen und Maßstäbe nicht aufdrängt. Das bedeutet nicht, daß der Analytiker leblos, kalt und reaktionslos sein soll. Die Abstinenzregel bezieht sich darauf, daß es wichtig ist, die infantilen und neurotischen Wünsche des Patienten nicht zu befriedigen. Das heißt nicht, daß man dem Patienten die Erfüllung aller seiner Wünsche versagen soll. Manchmal muß man auch einen neurotischen Wunsch zeitweilig erfüllen. Selbst die Versagung neurotischer Wünsche muß so vorgenommen werden, daß der Patient nicht gedemütigt und traumatisiert wird. (S.222/223)“
Die Geschichte des Gegenübertragungsbegriffs
Körner(1990) beschreibt drei unterschiedliche Konzepte der Gegenübertragung, die sich historisch verschiedenen Phasen der psychoanalytischen Bewegung zuordnen lassen: ein defensiv-objektivierendes, ein instrumentelles und ein interaktionelles Konzept.
1. Das defensiv – objektivierende Gegenübertragungskonzept (1909 bis etwa 1945)
1909 äußert sich Freud in einem Brief zu den Verstrickungen Jungs in eine Liebesbeziehung mit seiner Patientin Sabina Spielrein. Hier erwähnt er seinem jüngeren Kollegen gegenüber tröstend, daß dieser sich noch nicht die „harte Haut“ habe wachsen lassen, die helfe, „die Gegenübertragung in die man doch jedenfalls versetzt werde“, zu handhaben. Auch er selbst sei „einige Male sehr nahe daran gewesen“, habe aber aufgrund seines fortgeschrittenen Alters leichter einen „narrow escape“ gefunden und sei somit davongekommen. Freud, Jung, 1974)
1910 sprach Freud im Rahmen der Mittwoch- Gesellschaft dieses Thema wieder an: Die Gegenübertragung müsse vom Arzt vollständig überwunden werden, das allein macht ihn als Psychoanalytiker mächtig (Nunberg, Federn, 1979). Es kommt darin Freuds Sorge zum Ausdruck, daß sich Analytiker in die Beziehung zu ihren Analysanden verstricken lassen und in Abhängigkeiten geraten, die sie daran hindern, die Neutralität zu wahren.
In den techn. Schriften 1912-1915 widmet sich Freud erneut der Gegenübertragung. Er spricht vom „Niederhalten“ der Gegenübertragung und davon, daß der Arzt die Gegenübertragung „erkennen und bewältigen“ muß. Auch wenn die Gegenübertragung unvermeidbar ist, so rät Freud doch ihren Einfluß zu begrenzen und zu kontrollieren. (Greenson (1967) erklärt: „Es trifft zwar zu, daß Freud die Entbehrungsaspekte der psychoanalytischen Situation betont hat, aber ich glaube, er hat es getan, weil zu jener Zeit (1912 – 1919) die große Gefahr darin bestand, daß die Analytiker sich gestatten könnten, übermäßig zu reagieren und mit ihren Patienten zusammen zu agieren.“) Daß der Analytiker die Übertragungsbeziehung zwangsläufig beeinflußt, – auch wenn er sich noch so gut unter Kontrolle hat – wurde von Freud nicht diskutiert. Er hatte der gegenseitige Beeinflussung von Übertragung und Gegenübertragung also dem intersubjektiven und interaktionellen Aspekt der Gegenübertragung noch keine Beachtung geschenkt. In den Anfängen der Psychoanalyse galt die Gegenübertragung des Analytikers als eine Verunreinigung der Objektivität seines Erkennens.
Die AnalytikerInnen dieser Zeit versuchten, die Übertragungs- und Gegenübertragungs – Situation durch eine ständige Selbstkontrolle in den Griff zu bekommen. Im Grunde genommen wird die Gegenübertragung hier als die neurotische Reaktionsbereitschaft des Analytikers definiert. Sie ist eine Störvariable, die es gilt, möglichst umfassend aus der analytischen Situation auszuschließen, bzw unter Kontrolle zu halten. Das wurde bei der Ausbildungsstruktur entsprechend berücksichtigt. Als die wichtigsten Maßnahmen um die störende neurotische Reaktionsbereitschaft des Analytikers in den Griff zu bekommen wurden die Eigen- bzw. Lehranalyse in der Ausbildung und die regelmäßige Supervision, die zumindest im Rahmen der Ausbildung nicht zufällig „Kontrollanalyse“ heißt, institutionalisiert.
Dem Konzept von Übertragung und Gegenübertragung entspricht die von Freud eingeführte Grundregel der freien Assoziation für den Patienten und die Haltung der gleichschwebenden Aufmerksamkeit des Analytikers.
Während meiner Ausbildung zum Analytiker in den 70er und 80er Jahren spielte das hier defensiv-objektivierend genannte Gegenübertragungskonzept noch eine wichtige Rolle. Auch im umfassenden und Generationen von heranwachsenden Analytikern die Richtung weisenden Techniklehrbuch von Ralph Greenson, das für mich nach wie vor einen ganz wichtigen Stellenwert als praktisches (Nachschlage)wert hat, wird der Gegenübertragungsbegriff ausschließlich im defensiven Sinn verwendet. (Der von Greenson angekündigte zweite Band, in dem er sich ausführlicher mit den neueren Gegenübertragungskonzepten beschäftigen wollte, ist meines Wissens nie erschienen.) Auch er versteht die Gegenübertragung als neurotische Reaktion:
„Fehler aufgrund einer Gegenübertragung entstehen, wenn der Analytiker auf seinen Patienten so reagiert, als sei der Patient eine bedeutsame Person in der frühen Lebensgeschichte des Analytikers. Gegenübertragung ist eine Übertragungsreaktion des Analytikers auf einen Patienten, eine Parallele zur Übertragung, ein Gegenstück zur Übertragung. (…) Gegenübertragungsreaktionen können zu beharrlichem unangemessenem Verhalten gegenüber dem Patienten führen, das die Form ständigen Mißverstehens oder gewisser unbewußter Belohnung, verführerischen oder gewährenlassenden Verhaltens auf Seiten des Analytikers annehmen kann.“ (Greenson, 1967)
2. Instrumentelle Gegenübertragungskonzepte
Umso überraschender ist es, daß die Angst vor der Gegenübertragung 40 Jahre nach ihrer Benennung durch Freud in eine Wertschätzung und Anerkennung umschlägt. Thomä, Kächele (1985), sprechen davon, daß sich das Aschenputtel der psychoanalytischen Technik zur allseits bewunderten Prinzessin verwandelt hat.
Unter den AnalytikerInnen, die Ende der vierziger Anfang der 50iger Jahre die Neukonzeption der Gegenübertragung vorangetrieben haben (darunter Winnicott, Little, Searls, Gitelson) trat vor allem Paula Heimann mit ihrem Vortrag beim internationalen psa. Kongreß in Genf, 1950 hervor. Die ehemalige Schülerin von Melanie Klein, die aus Deutschland nach England emigriert war, hat bei diesem Kongreß die Auffassung vom Bild eines „indifferenten“ und „anonymen“ Analytikers kritisiert. Sie betonte, „daß die Gegenübertragung des Analytikers nicht nur das A und O der analytischen Beziehung ist, sondern sie ist die Schöpfung des Patienten, sie ist ein Teil der Persönlichkeit des Patienten.“ Ihr Vortrag hat den Wendepunkt zur ganzheitlichen Aufassung der Gegenübertragung markiert, die alle Gefühle des Analytikers seinen Patienten gegenüber als Gegenübertragung betrachtet. Sie betont wie kein/e andere/r Autor/in den positiven Wert der Gegenübertragung als wesentliches diagnostisches Hilfsmittel, ja als psychoanalytisches Forschungsinstrument. Indem sie als Schöpfung des Patienten erklärt wurden, sind die Gegenübertragungsgefühle in gewisser Weise entpersönlicht. Sie entstehen zwar im Analytiker, aber als Produkt des Patienten. Je vollkommener sich der Analytiker der Gegenübertragung öffnet, desto besser gelingt es ihm, die Übertragung des Patienten zu verstehen und nützt ihm die Gegenübertragung als diagnostisches Hilfsmittel. Denn die Entstehung der Gegenübertragung wurde auf den Patienten zurückgeführt und anfänglich von Heimann als projektive Identifikation im Sinne Melanie Kleins erklärt. Ihre These ist, „daß die gefühlshafte Antwort des Analytikers auf seinen Patienten in der analytischen Situation eines der wichtigsten Mittel seiner Arbeit darstellt. Die Gegenübertragung ist ein Forschungsinstrument für die unbewußten Prozesse des Patienten. (…) Es wurde nicht genügend betont, daß die analytische Situation in einer Beziehung zwischen zwei Personen besteht. Was diese Beziehung von anderen unterscheidet, ist nicht das Vorhandensein von Gefühlen beim einen Partner, nämlich beim Patient, und ihre Abwesenheit beim anderen, dem Analytiker, sondern vor allem der Grad der Gefühlserlebnisse, die der Analytiker hat, und der Gebrauch, den er von seinen Gefühlen macht. Diese beiden Faktoren hängen miteinander zusammen.“
Wesentlich ist, daß der Analytiker seine Gefühle aushält, statt wie der Patient abzureagieren. Die im Analytiker ausgelösten Gefühle werden für die analytische Aufgabe gebraucht, in welcher der Analytiker als Spiegel für den Patienten funktioniert. „Unsere Grundannahme ist, daß das Unbewußte des Analytikers das des Patienten versteht. Dieser Rapport auf einer tiefen Ebene kommt in der Form von Gefühlen zur Oberfläche, die der Analytiker als Antwort auf seinen Patienten bemerkt, eben in seiner Gegenübertragung. Es gibt keinen dynamischeren Weg, in welchem die Stimme des Patienten den Analytiker erreicht. Im Vergleich zwischen den eigenen Gefühlen mit den Assoziationen und dem Verhalten des Patienten besitzt der Analytiker das beste Mittel um prüfen zu können, ob er seinen Patienten verstanden oder nicht verstanden hat.“ (Heimann, 1950)
In dieser Konzeption werden alle Gefühle, Körperempfindungen und Handlungstendenzen des Analytikers als informationsreiche „Antwort“ auf die Übertragung des Patienten verstanden und entsprechend interpretiert.
Bereits drei Jahre vorher, hat sich Winnicott in einem bemerkenswerten Aufsatz mit dem „Haß in der Gegenübertragung“ beschäftigt.
Hier beschäftigt sich Winnicott (1947) in der ihm eigenen Art mit der massiven, negative Gegenübertragung, die vor allem in der Behandlung von Patienten mit frühen Störungen beim Analytiker auftreten kann. „Eine Hauptaufgabe des Analytikers besteht bei jedem Patienten darin, in bezug auf alles was der Patient vorbringt, Objektivität zu bewahren; eine besondere Variante davon ist der Umstand, daß der Analytiker fähig sein muß, den Patienten objektiv zu hassen.“ Er meint, daß es nicht nur notwendig sei, daß der Analytiker sich diesen Haß auch bewußt macht, sondern dem Patienten seinen Hass auch zur gegebenen Zeit (also nicht unmittelbar sondern viel später, wenn sich die Wogen der Wut schon geglättet haben) mitteilt. „Wenn der Patient objektiven und gerechtfertigten Haß sucht, muß er an ihn herankommen können, sonst kann er nicht das Gefühl haben, objektive Liebe erreichen zu können“.
Es ist ein Teil des „hinreichend guten Analytikers“, daß er, genauso wie die „hinreichend gute Mutter“ auch manchmal den Säugling haßt, er auch manchmal den Patienten hasst.
Winnicott präsentiert in diesem Aufsatz auch eine Klassifikation der Gegenübertragungsphänomene. Er unterscheidet:
- Abnorme Gegenübertragungs-Gefühle und verfestigte Beziehungen und Identifizierungen, die der Analytiker bei sich selbst verdrängt hat. „Dazu ist zu sagen, daß der Analytiker mehr Analyse braucht“.
- Die Identifizierungen und Tendenzen, die zu den persönlichen Erfahrungen und zur persönlichen Entwicklung des Analytikers gehören und den positiven Rahmen für seine analytische Arbeit liefern.
- Von diesen beiden unterscheidet er die wirklich objektive Gegenübertragung, oder – wenn das zu schwierig ist- die Liebe und den Haß des Analytikers, mit denen er auf die wirkliche Persönlichkeit und das wirkliche Verhalten des Patienten reagiert.
Margret Little gibt in ihrem Artikel von 1951, Gegenübertragung und die Reaktion des Patienten, u.a. eine Übersicht, in welcher verschiedene Bedeutungen des Gegenübertragungsbegriff bis dahin angewendet wurden:
- Die unbewußte Einstellung des Analytikers zum Patienten.
- Verdrängte, bisher unanalysierte Anteile des Analytikers, die sich in derselben Weise an den Patienten binden, wie der Patient die Affekte usw., die zu seinen Eltern oder Kindheitsobjekten gehören, auf den Analytiker „überträgt“; dh., der Analytiker betrachtet den Patienten (vorübergehend und mit Schwankungen) so wie er seine Eltern betrachtet hat.
- Eine spezifische Haltung oder ein spezifischer Mechanismus des Analytikers, der Übertragung des Patienten zu begegnen.
- Die gesamten Einstellungen und das gesamte Verhalten des Analytikers dem Patienten gegenüber. Diese Bedeutung umfaßt alle anderen und auch alle bewußten Einstellungen des Analytkers. (Little, 1951)
Racker (1953) führte die hilfreiche Unterscheidung zwischen komplementärer und konkordanter Identifizierung in der Gegenübertragung ein. In der konkordanten Gegenübertragung identifiziert sich der Analytiker mit Teilen (z.B. mit dem Über-Ich), bzw. der ganzen Person des Patienten. In der komplementären Gegenübertragung identifiziert er sich dagegen mit den verinnerlichten Objekten des Patienten aus der Kindheit. In dem Maße, in dem der Analytiker an der konkordanten Identifizierung scheitert und diese abwehren muß, verstärken sich die komplementären Identifizierungen.
Sandler führt das Konzept der Bereitschaft zur Rollenübernahme ein, das parallel zur gleichschwebenden Aufmerksamkeit des Analytikers von einer „gleichschwebenden Bereitschaft zur Rollenübernahme ausgeht. Dazu ein Fallbeispiel (zitiert nach Rolf Klüwer, 1983):
„In der ersten Woche der Analyse eines 35jährigen Mannes bemerkte der Analytiker, daß er sehr viel mehr sprach, als er gewöhnlich tat. Er entdeckte daraufhin, daß er Angst hatte, der Patient könne fortbleiben. Das Mehr-als-gewöhnlich-Sprechen sollte den Patienten festhalten, dessen Angst verringern und stellte gleichzeitig ein Ausweichen von den aggressiven Strebungen des Patienten dar. Diese selbstanalytischen Reflexionen erleichtern die Rückkehr zum üblichen Verhalten. Gleichzeitig registrierte der Analytiker jedoch weiterhin den Drang, während der Sitzungen zu sprechen, und ihm wurde klar, daß es dem Patienten mit Hilfe einer geringfügigen Veränderung in der Stimme gelang, jeden Satz in eine Frage ausklingen zu lassen. Weder der Patient noch der Analytiker hatten dies zunächst bemerkt. Der Analytiker machte den Patienten dann darauf aufmerksam und zeigte ihm, wie sehr er die Beruhigung durch das Sprechen des Analytikers brauchte. Daraufhin erinnerte sich der Patient, wie er als Kind seinem Vater, einen Boxer, vor dessen Gewalttätigkeit er große Angst hatte, zwanghaft in Gespräche verwickelte, um sich zu vergewissern, daß er ihm nicht böse sei. Der Patient brauchte die Liebe des Vaters, wollte das bevorzugte Kind sein und fürchtete, wie die spätere Analyse zeigte, seine eigene Feindschaft dem Vater gegenüber“ (Sandler, 1976 a).
Der französische Analytiker J.-D. Nasio (2000) hat in seinem Artikel „Wie ein Analytiker arbeitet“ sehr ausführlich seine psychische Tätigkeit beim konzentrierten Zuhören beschrieben. Wenn der Psychoanalytiker auf diese von ihm beschriebene Weise zuhört, „erfaßt er das Unbewußte seines Analysanten. Oder besser gesagt: Wenn der Psychoanalytiker zuhört, bringt er in seinem Geist eine fantasmatische Wahrnehmung des Unbewußten seines Analysanten hervor“. Zur Erläuterung möchte ich ihnen das von Nasio referierte Fallbeispiel vorlesen:
„Der Analysant, ein junger Mann von 26 Jahren, hat die seltsame Angewohnheit, sich in schwarz, ganz in schwarz, zu kleiden. Vom ersten Tag an trägt er immer einen schwarzen Anzug, immer denselben, ein schwarzes Hemd, schwarze Schuhe. Er kommt zu den Sitzungen immer mit einem schwarzen Schirm, schwarzen Handschuhen und einer ebenso schwarzen Aktentasche. Es ist ein junger Mann mit sehr sorgfältig gekämmten Haaren, groß und gut ausssehend, der eine gewisse, von einem tiefen, geheimnisvollen Leiden durchdrungene Würde ausstrahlt. Im Verlauf der ersten Unterredung erfahre ich, daß er im Alter von 6 Jahren auf tragische Weise seine Mutter bei einem Verkehrsunfall verloren hat. Ab diesem Zeitpunkt war es ihm nie wieder gelungen, eine gefühlsmäßige Bindung einzugehen, sei es nun zu seinem immer gleichgültigen Vater oder zu anderen Mitgliedern der Familie, Bindungen, die ihm vielleicht geholfen hätten, die Trauer zu überwinden. Von den ersten Sitzungen an hatte ich den Eindruck vor einem Wesen zu stehen, das an einer nicht abgeschlossenen Trauer litt, einer in seinem psychischen Leben eingeschlossenen Trauer wie ein dunkler Kern in erkalteter Lava. Zwei Jahre später, im Verlauf einer Sitzung, höre ich die in einem Nebensatz geäußerten Worte: „Seit meine Mutter weggegangen ist…“. Ohne recht zu verstehen fühle ich mich durch diese Worte aufgerufen, mich zu konzentrieren und die Augen zu schließen. Genauer: Die Augen zu schließen und meine Stirn in die Hände zu legen… Ich mache mich gewissermaßen blind, und als Wiederhall dieses Satzes: „Seit meine Mutter weggegangen ist“, erwacht in mir eine Reihe von Bildern, die ich dem Analysanten mitteile, so wie sie vor meinem Auge ablaufen. Hier interveniere ich also und formuliere mit meinen Worten eine Interpretation in Form einer Erzählung. Folgendes teile ich dem Patienten mit:
Sie sagten soeben: „Meine Mutter ist weggegangen…“, und wenn ich dies höre, erscheint mir das Bild einer Mutter, die das Haus verläßt und hastig das Gartentor öffnet. Ein kleiner Junge von 6 Jahren will mit ihr gehen. Und als ob er wüßte, daß seine Mutter für immer geht, ruft er: “Mutter, warte auf mich! Warte, ich komme mit!“
Die Mutter dreht sich um und antwortet: “Nein, nein, du bleibst hier, du kannst nicht mit!“ Und auch die Hartnäckigkeit des Kindes hält die Mutter nicht auf und der Junge läuft hinterher. Die Mutter läuft und der Junge läuft ihr nach. Sie läuft und er folgt ihr unermüdlich, immer laufend an ihre Fersen geheftet. So gehen Mutter und Kind eins hinter dem anderen, ohne sich je zu treffen. Und dies Jahr um Jahr in einer Jagd ohne Ruhepause, bis zu dem Tag, an dem das Kind endlich die Silhouette seiner Mutter sich entfernen, sich auflösen und mit dem Horizont verschmelzen sieht. Mittellos und außer Atem entscheidet sich der Junge stehenzubleiben. Er setzt sich an den Straßenrand, kommt wieder zu Atem und plötzlich betrachtet er seine Hände und Beine und entdeckt erstaunt, daß er kein Kind mehr ist, daß er gewachsen ist, ein Mann geworden; daß er auch in seinem Innern gereift ist, weil er nicht mehr auf die gleiche Weise empfindet und träumt.
Nach diesen Worten unterbreche ich kurz und spreche den Patienten direkt an:
Sehen Sie dieser Halt am Straßenrand, wo sie sich als anderen erkennen, das ist die Analyse, dies ist unsere Arbeit, die wir hier machen.
Nun alle diese Worte und Bilder, die ich ihnen erzählt habe, teile ich dem Analysanten mit, so wie sie in meiner fantasmatischen Wahrnehmung erschienen. Während ich sprach hörte mir der Patient in einem sich an meine Worte klammernden Schweigen zu, und am Ende meiner Intervention hörte ich sein verhaltenes Weinen. Während ich sprach war ich selbst hinweggetragen nicht nur durch die Kraft und Bewegung der Bilder und durch die Heftigkeit meiner Identifikation mit dem Kind und seinem Begehren, sondern auch durch die Worte, die zu mir kamen und durch mich hindurchgingen. Sicher war ich durch das Bild und die Sprache getragen, aber – und das möchte ich ganz besonders betonen – bemühte ich mich immer, vom Analysanten verstanden zu werden, und ich wählte sorgfältig die Worte, die er bereit war aufzunehmen.“ (Nasio,2000)
Das instrumentelle Gegenübertragungskonzept wie es von Heimann (1950), Little (1951), Racker (1953) um nur die wichtigsten AnalytikerInnen zu nennen, entwickelt und in der Folge von anderen erweitert wurde, ist in den achtziger Jahren zunehmend kritisch gesehen worden. Zusehr blieb es einem Sender-Empfänger-Modell verhaftet. Der Beitrag des Analytikers ist auf eine rein rezeptive und antwortende Funktion begrenzt. Der eigene Beitrag des Analytikers zur Beziehung bleibt weitestgehend im Dunkeln. In der neueren Psychoanalyse wird deshalb auf die subtile Verschränkung der bewußten und unbewußten Gefühlsreaktionen von Analytiker und Patient ein größeres Gewicht gelegt.
3. Intersubjektive bzw. Interaktionelle Gegenübertragungskonzepte
Mertens stellt fest, daß die Auffassung von der Unmöglichkeit und auch Unfruchtbarkeit eines positivistischen Objektivitätsideals zwar vereinzelt schon anfang der fünfziger Jahre vertreten wurde, im Grunde aber noch viele Jahre unberücksichtigt blieb. Erst in den siebziger und verstärkt in den achtziger Jahren hat sich die Erkenntnis an breiter Front durchgesetzt, daß der Analytiker kein distanzierter, sondern ein teilnehmender Beobachter ist, der auf vielerlei Weise mitagiert, wobei aber diese Subjektivität anhand von Introspektion und Reflexion ein Stück weit objektiviert werden kann. Eine Subjekt-Objekt Spaltung kann im analytischen Setting nicht mehr länger vertreten werden. Damit rückte die Subjektivität des Analytikers ins Zentrum der Betrachtung: Die Produktionen des Patienten entstehen nicht nur auf Grund seiner intrapsychischen Dynamik sondern auch auf Grund der subtilen Hinweisreize des Analytikers, die diesem auch oft nicht bewußt sind. „Die Reaktionen des Analytikers, die in jeder Minute der analytischen Interaktion ablaufen (egal ob er interveniert oder nicht, sich im Sessel bewegt oder nicht), werden für den Patienten zu wichtigen Stimuli dafür, wann und in welcher Weise er sich bestimmten konflikthaften Themen zuwendet und zu bearbeiten versucht.“ Außerdem reagiert der Analytiker ja nicht nur „ausgestanzt“ auf die Übertragung des Patienten, sondern er „reagiert auf die gesamte Person des Patienten. Auf die Art und Weise seiner Erzählungen, auf bestimmte Personen von denen die Erzählungen handeln u.a.m. Er kann auch mit eigenen neurotischen Übertragungsgefühlen und Projektionen von eigenen Selbstanteilen reagieren. Diese Tatsachen legen die Annahme nahe, daß die Deutungen des Analytkers immer von der eigenen Subjektivität kontaminiert sind“ (Mertens,1991)
Körner (1990) sagt in seinem Artikel „Einheit im Widerspruch“: „Das Geheimnis der Übertragung ist der Versuch des Patienten, mit Hilfe der Trennung von Übertragung und Gegenübertragung auseinanderzuhalten, was in ihm als Konflikt nicht vollständig bewußt werden darf.“
Das heißt, daß im Sinne der komplimentären Gegenübertragung die eine Seite des inneren Konflikts beim Analytiker untergebracht wird, während die andere Seite in der Übertragung des Patienten ausgedrückt wird. Damit sind die beiden Phänomene der Übertragung und Gegenübertragung „Spaltungsprodukte“ eines einzigen intrapsychischen und ehemals interpersonalen Konfliktes. Die Gegenübertragung ist ein gleichsam zwangsläufiger Bestandteil der Gesamtinteraktion und ein wesentlicher Beitrag des Therapeuten zum Ganzen. (Ähnlich ist es ja auch bei der Externalisierung, bzw. Inszenierung des inneren Konflikts in Form von Objektbeziehungsdyaden, wie wir sie in der BorderlineTherapie bei der übertragungsfokussierten Psychotherapie [TFP] kennen.)
Wenn man von diesem interaktionellen Konzept der psa Situation ausgeht, kann sich der Analytiker nicht mehr nur auf die Gegenübertragung als Instrument zur Hypothesenbildung beschränken, sondern er selbst steht als Akteur, als Reagierender, im Rampenlicht und ist somit tief in das therapeutische Geschehen involviert. Körner meint: “Dieser Begriff der Gegenübertragung wäre der weitestmögliche, er umfaßt alle Körperempfindungen, Gedanken, Gefühle und Handlungsimpulse des Analytikers. Die therapeutische Situation wäre als reale, konflikthafte Beziehung zu vestehen, die von beiden Beteiligten gemäß ihrer unterschiedlichen Rollen gestaltet und fortentwickelt wird. Die Rolle des Analytikers sieht vor, die Beziehungskonflikte mit seinem Patienten nicht zu „beantworten“, sondern als inneren Konflikt selbst zu erleben und durchzuarbeiten“.
Das Involviertwerden des Analytikers in einen interaktionellen Prozeß läßt nicht nur beim Patienten, sondern auch beim Therapeuten neurotische Strukturen sichtbar werden, meint Bettighofer 2004, in seinem Buch „Übertragung und Gegenübertragung im therapeutischen Prozeß“ und bezieht sich auf den französischen Analytiker M´Uzan (1989), der den Gegenübertragungswiderstand als Selbstschutzmaßnahme gegen die Bedrohung der Stabilität der narzißtischen Besetzung durch eine zu starke Identifizierung mit dem Patienten in intensiven analytischen Prozessen beschreibt. Bettighofer greift den Begriff der „Eigenübertragung“ des Analytikers (Heuft, 1990) auf, die den neurotischen Anteil aber auch die Ichinteressen, die durch den Patienten in ihm ausgelöst werden, betreffen und meint, daß „die allgemein akzeptierte und weitverbreitete Definition der Gegenübertragung nach wie vor vorwiegend die spezifische, nicht neurotische Reaktion des Analytikers auf die Übertragung seines Patienten (Moeller 1977) sieht.
Demgegenüber ist das Hervorheben der Möglichkeit einer Eigenübertragung ein entscheidender Fortschritt, weil so die Person des Analytikers mit ihren Idiosynkrasien, ihren Mustern und Selbstschutzmechanismen ins Blickfeld gerät.“
Lichtenberg (2007) beschreibt das Konzept der Modellszene, die innerhalb der Interaktion zwischen Patient und Analytiker als Bild entworfen wird. „Ich spreche hier vom Ko-Konstruieren und Ko-Kreieren einer rätsellösenden Beschreibung, die uns schließlich die Bedeutung eines signifikanen Vorfalls oder einer Inszenierung (Enactment) einer Modellszene aufdecken läßt.“ Ein Fallbeispiel dazu, habe ich dem hervorragenden Buch von A. Laimböck(2007), Schwierige Passagen, Seite 55, entnommen.
Auch das Konzept der projektiven Identifikation und das Bionsche Modell des Containers betonen die starke persönliche Beteiligung des Analytikers im intersubjektiven Prozeß.
Ogden (1979) arbeitet Bions Konzept weiter aus und beschreibt drei Aspekte der projektiven Identifizierung:
- Ein Aspekt des Selbst wird projektiv verleugnet, indem er unbewußt in eine andere Person verlagert wird.
- Der Projezierende übt auf interpersonaler Ebene Druck aus, der die andere Person zwingt, das, was projeziert wird, zu erleben oder sich unbewußt damit zu identifizieren.
- Der Empfänger der Projektion, der Analytiker, agiert ihr entsprechend und bewahrt die projizierten Inhalte in sich auf, bzw. hält sie, was dann wieder zu einer Reintrojektion durch den Patienten in modifizierter Form führt.
Ogden (1994) sieht den analytischen Prozeß als dialektische Bewegung zwischen Subjektivität und Intersubjektivität. Aus seiner Sicht muß die Übertragung unter dem Aspekt gesehen werden, daß es eine Dialektik zwischen dem Analytiker als einer getrennten Einheit auf der einen Seite und dem Analytiker als einer gemeinsamen Schöpfung, der sich im analytischen Prozeß entfaltenden Intersubjektivität auf der anderen Seite herstellt. Es sind also drei Subjektivitäten in der analytischen Situation involviert: Die Subjektivität des Analysanden, diejenige des Analytikers und die des „analytischen Dritten“. Diese dritte Subjektivität wird durch das unbewußte Zusammenspiel von Analytiker und Analysand erschaffen und kann als intermediärer Raum der Erfahrung zwischen Innen und Außen der beiden Protagonisten der analytischen Situation verstanden werden. Dazu ein Fallbeispiel von Ogden, auf das ich auch in Laimböcks Buch gestoßen bin (Laimböck 2007, S.58).
Zum Abschluß möchte ich nochmals auf meine erste Fallvignette – dem Erstgespräch mit der jungen Frau – zu sprechen kommen und zwar unter dem Aspekt wie weit ein anderer Analytiker auf gleiche Weise wie ich auf die Klientin reagiert hätte oder nicht. Es geht mir also um die Frage wie „objektiv“ die Gegenübertragung ist, und ob sich daraus tatsächlich Schlüsse auf das Unbewußte des Analysanden ziehen lassen. In dieser Geschichte kommt ja vor allem meine persönliche Betroffenheit über die unglückliche Beziehungsgestaltung der Klientin, auf die ich mit einer Vatergegenübertragung reagierte, zum Ausdruck. Wollte ich hier meine Gegenübertragungsanalyse (König, 2004) weiterführen, würde ich vermutlich auf abgewehrte, vorbewußte Übertragungswünsche und -ängste stoßen, die in der Begegnung mit der Klientin bei mir evoziert wurden. Meine Reaktionen auf die ubw. Übertragung der Klientin verschränkten sich mit meiner eigenen bewußten und ubw. Übertragungsbereitschaft als Analytiker bereits in der ersten Begegnung im Erstgespräch. („Der Patient wirkt für den Analytiker ebenso wie der Analytiker für den Patienten als Übertragungsauslöser – dadurch wie er aussieht, welche Positon er in der Gesellschaft einnimmt, ob er verheiratet ist oder unverheiratet, Kinder hat oder keine und was über seine Beziehungen sonst bekannt ist – und eben auch, was er gerade überträgt oder externalisiert. All das hat einen Einfluß auf die Übertragung des Analytikers. Der Analytiker reagiert auf seine Patientinnen und Patienten aber auch in direkterer Weise, zum Beispiel auf erotische Attraktivität. Es gibt auch so etwas wie realistischen Neid auf den Patienten und nicht neurotisches Gekränktsein durch ihn.“ (König 2004).
Um daraus der ubw. Übertragung der Klientin auf die Spur zu kommen und diese mit ihr gemeinsam zu erschließen und für sie fruchtbringend zu deuten, hätte es eines längerdauernden analytischen Prozesses bedurft, auf den sie sich jetzt bei einem anderen Analytiker eingelassen hat. Über die Motive, die für sie bei der Auswahl ihres Analytikers letztlich entscheidend waren, kann nur spekuliert werden. Es mag sein, daß meine Gegenübertragungsreaktion dabei eine Rolle gespielt hat.
Literatur:
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